Betrachtung einer Vision im musealen Umfeld

Bernhard Schipper "tätowierte" für die Ausstellung "natural_mente" im Leipziger Naturkundemuseum Kühe.
Damit zieht er eine Linie von seinem Arbeitszyklus "I am the doorway" zu einen Bereich, der keines kunstinteressierten bzw. verständigen Publikums bedarf; die praktische Nutzbarkeit der Idee in der Landwirtschaft. In den gezeigten Arbeiten geht es um Codierung, Erkennung, übertragung von Zeichen und daraus resultierenden Botschaften.
Bernhard Schippers Kühe gliedern sich in die Ausstellungskonzept des Naturkundemuseums ein. Als Anschauungsobjekt steht eine "tätowierte" Spielzeugkuh gemeinsam mit den anderen Tiermodellen des Museums in einer Vitrine. Betrachtung einer Vision. In einem anderen Raum weitet sich der Blick in die Zukunft an einem digitalen Print, dass eine Kuh und ihr Kalb (beide tragen eine Kodierung am Vorderlauf) in einer inszenierten Landschaft zeigt. Das Sujet erinnert an die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Tiere, Natur und Mensch verschmelzen aber nicht zu einem Ideal ländlichen Lebens, sondern zu einer bizarren Zukunftsvision. Kunst als Spiegel einer Epoche, nicht nur romantisch-ästhetisierend, sondern auch industriell-dienstleistend.
"I am the doorway" formuliert die Idee Kühe mit einen Laser zu kodieren, "tätowieren" zu lassen, funktionierend nach einem Prinzip ähnlich dem des Barcodes. Mit Hilfe von Datenverarbeitungs-Technologie sollen alle Informationen über das Nutztier erfasst werden. Wer den Schlüssel besitzt bekommt die Information (z.B. Geburt, Geschlecht, Besitz, Gewicht, Krankheiten etc.).
Haut als Informationsträger des Körpers kann nicht so einfach manipuliert werden wie digitale Speichermedien. Die Information auf ihr wird lediglich verschlüsselt - aber auf ihrem Träger permanent eingeschrieben und existiert bis zu dessen Tod. Damit ist die Kodierung unwiderruflich.
Kühe (der Begriff lässt sich für Nutztiere beliebig austauschen) sind aber nicht nur Informationsträger, sondern in allererster Linie immer noch Nahrung.
"I am the doorway" zeigt sich im musealen Umfeld auch abstrakt, philosophierend, mit biblischen Hintergrund. Für die Ausstellungseröffnung von "natural_mente" codierte Bernhard Schipper Zwiebelkuchen. Ausgehend von der christlich-abendländischen Metapher des Abendmahls nahm der Besucher über das Lebensmittel die Botschaft ("I am the doorway") in sich auf.

Nadine Kennert

© 2000 Bernhard Schipper

Quelle/Source: http://www.dust-dbugger.de/doorway/art/pdf/nat_1_text.html

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